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Wissenschaftsgeschichte der Theaterwissenschaft

Wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen ermöglichen nicht nur vielfältige Erkenntnisse im Hinblick auf die Ausdifferenzierung von Forschungszweigen und Wissenschaftsdisziplinen, sondern erlauben es auch, aktuelle Entwicklungen und Transformationsprozesse besser zu verstehen. Die Theaterwissenschaftliche Sammlung, die auf die Gründung durch Carl Niessen (1890–1969) zurückgeht, bietet auf Grundlage ihrer Bestände und internen Organisation Einblicke in Denkmodelle und Strukturierungsprozesse aus der Institutionalisierungsphase der Theaterwissenschaft. Zugleich bildet die Digitalisierung der TWS-Bestände und ihrer Erfassungssysteme eine spannende Grundlage für neue erkenntnistheoretische Fragestellungen zur Wissensorganisation von Archiven des kulturellen Erbes.


Carl Niessen und der Denkraum der Theaterwissenschaft
In der Geschichte der Theaterwissenschaft gilt der Kölner Theaterforscher und Sammler Carl Niessen neben Pionieren wie Max Herrmann in Berlin oder Artur Kutscher in München als eine zentrale Gründerfigur des Fachs. Er begann 1919 damit, eine Schausammlung für Studierende der Theaterwissenschaft zusammenzustellen und eröffnete 1932 am Salierring in der Kölner Innenstadt ein Theatermuseum, deren Bestände heute in der Theaterwissenschaftlichen Sammlung auf Schloss Wahn untergebracht sind. Wissenschaftshistorisch interessant ist Niessen vor allem aufgrund seines weit gefassten Theaterbegriffs, der den Bogen von rituellen Handlungen und cultural performances des globalen Südens bis hin zu den Phänomenen des europäischen Gegenwartstheaters spannte. Meine 2022 erschienene Dissertation Objekte, die die Welt bedeuten. Carl Niessen und der Denkraum der Theaterwissenschaft (Metzler-Verlag) widmet sich dem Kölner Theaterwissenschaftler durch ein virtuelles Abschreiten der Museums- und Institutsräume des Gebäudes am Salierring, um so die durch Niessen initiierten Praktiken der frühen Theaterforschung und -lehre zu kartografieren.