Zwischen den Bildern des Neuen deutschen Films »Uliisses« und der Stand der Dinge um 1980
In der Geschichte des Neuen deutschen Films spielt Werner Nekes allenfalls eine untergeordnete Rolle. Und dies im buchstäblichen Sinne, rechnen die gängigen filmhistorischen Narrative seine Filme, wenn sie in ihnen denn überhaupt vorkommen, doch zumeist dem zu, was Alexander Kluge einmal als »untergründige Geschichte« des Neuen deutschen Films bezeichnet hat: dem experimentellen Underground als Paralleluniversum jenseits der breiten Öffentlichkeit, aber auch als Nährboden für Formen ästhetischer Innovation und medialer Reflexion, aus dem die Bewegung ihre Energie ziehen konnte.
Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem filmischen Œuvre von Werner Nekes im Kontext des Neuen deutschen Films ist bisher ausgeblieben. Dabei weisen sowohl der Verlauf seines filmischen Schaffens als auch die formalen und thematischen Akzentuierungen, die in ihm vorgenommen werden, durchaus eine gewisse Affinität zu denjenigen auf, die unser Bild vom Neuen deutschen Film prägen: Auch Nekes wagt nach kurzen experimentellen Arbeiten den Schritt zu längeren Formen des erzählenden, essayistischen oder dokumentarischen Films, erhält Auszeichnungen auf internationalen Festivals und Lehraufträge an Kunst- und Filmhochschulen. In ihrem Kern verfolgen seine Filme Anliegen, wie sie für den Neuen deutschen Film insgesamt kennzeichnend sind: Die Auflösung der Gattungsgrenzen, der Rekurs auf Literatur und Kunst, das Interesse für Außenseiter und Underdogs, Passagen und Nicht-Orte der Gesellschaft, die Hinwendung zu Geschichte und Mythos, die Erkundung des Zusammenhangs von Wahrnehmung und Bewusstseinsbildung, nicht zuletzt die theoretische Reflexion der eigenen medialen Verfasstheit.
In Form eines archäologischen Querschnitts, einer filmhistorischen Engführung mit offenem Ausgang möchte ich den Schlüssel- und Schwellenfilm Uliisses (1980-82) in eine Konstellation rücken mit zeitgleich entstandenen, kanonischen Werken des Neuen deutschen Films wie Helma Sanders-Brahms‘ Deutschland bleiche Mutter, (1979/80), Alexander Kluges Die Macht der Gefühle (1981-83), Ulrike Ottingers Freak Orlando (1981), Harun Farockis Etwas wird sichtbar (1980-82), Wim Wenders‘ Der Stand der Dinge (1981/82) oder Herbert Achternbuschs Das Gespenst (1982). Ziel dieses kaleidoskopischen Kollisionsarrangements wäre die schlaglichtartige Beleuchtung der Frage, wie nahe Nekes mit Uliisses dem Neuen deutschen Film gekommen ist; und woran es liegen mag, dass der Film, in diesem Licht betrachtet, noch immer ein Schattendasein führt.
Biografie
Prof. Dr. Michael Wedel ist Professor für Mediengeschichte an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF in Potsdam and Co-Sprecher der Kolleg-Forschungsgruppe »Cinepoetics – Poetologien audiovisueller Bilder« an der Freien Universität Berlin. Von 2005 bis 2009 war er Assistenz-Professor für Geschichte und Theorie der Medien und Kultur an der Universität Amsterdam, 2011 bis 2014 Wissenschaftlicher Leiter des Filmmuseums Potsdam.
Publikationen u.a. Filmgeschichte als Krisengeschichte. Schnitte und Spuren durch den deutschen Film (Bielefeld 2011); Körper, Tod und Technik. Metamorphosen des Kriegsfilms (mit Thomas Elsaesser, Konstanz 2016); „So etwas Ähnliches wie die Wahrheit“. Zugänge zu Thomas Harlan (Hg. mit Jesko Jockenhövel, München 2017); Ort und Zeit. Filmische Heterotopien von Hochbaum bis Tykwer (Berlin/Boston 2020); Die „Filmkritik“. Eine Zeitschrift und die Medien (Hg. mit Rolf Aurich, München 2024).